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Erwin Schader

Geistinnerlichkeit als Trinitätsanalogie

Eine konstruktive Kritik neuzeitlicher Subjektozentrik im Lichte der Augustinischen Selbstvergewisserung


Von ihren historischen Anfangen her entwickelte sich das neuzeitliche Selbstbewu?tsein unter den Bedingungen der Trinitatskritik Bereits 1531 veroffentlichte Michael Servet seine sieben Bucher «De Trinitatis erroribus», welche vor allem die Sozinianer angeregt haben(1): eine radikale und umsturzlerische Gruppierung innerhalb der anderen reformatorischen Stromungen. Vom Nominalismus und humanistischen Historismus beeinflu?t, wandten sich die Sozinianer energisch gegen die scholastische Theologie; sie attackierten das Christentum in seiner «Substanz», d.h. in seiner Lehre vom dreieinigen Gott. Diese Lehre schien ihnen einen «Schandfleck»(2) am Christentum darzustellen, weil sie, wie sie meinten, der Vernuft widersprache(3).

Én eben dieser Auffassung aber wurzelt der neuzeitliche Rationalismus. Denn der Sozinianismus, der in unseren Tagen erstaunlich wenig bekannt ist, dehnte sich im 16. Jahrhundert wie ein «Lauffeuer» uber ganz Europa hin aus; er ubte - bis ins 18. Jahrhundert hinein -auf «infiltrative» Weise einen machtigen Einflu? auf das geistige Leben und das sog. Allgemeinbewu?tsein aus. Es sei hier daran erinnert, da? die Epoche der rationalistischen Aufklarungsphilosophie auf entscheidende Weise vïn sozinianischen intellektuellen Gruppen initiiert wurde, welche als Exulanten vïn Polen aus nach Westeuropa einstromten(4).

Wahrend der Entstehung des sozinianischen Rationalismus verschwand allmahlich -was sich als au?erst folgenreich fur die weitere Entwicklung des okzidentalen Denkens erweisen sollte- die metaphysische Konzeption des Seins als eines internen Selbstvollzuges. So leugnete z. B. der schon erwahnte Servet, da? es in Gott irgendwelche reale Bewegungen vor der Erschaffung der Welt gabe(5). Er bezeichnet deshalb auch die geistigen Prozesse, welche als Anologien des triunitaren Seins in der Geistinnerlichkeit des Menschen aufgefa?t wurden, als 'illusinare Traumereien' denen insbesondere Augustinus verfallen sei(6). Die geistige Atmosphare anderte sich dabei auf solche Weise, da? das rationalistische Philosophieren, das vor allem in Descartes reprasentiert ist, seinen Ausgangspunkt nehmen konnte.

Sehr instruktiv ist in diesem Zusammenhang eine Episode aus dem Jahr 1640: Nachdem Descartes erfahren hatte, da? bei Augustinus gewisse Ahnlichkeiten zu seiner eigenen Art der Selbstvergewisserung zu finden seien, las er in der Tat die entsprechende Textstelle (De civ. Dei XÉ, 26), in welcher der Mensch vermittels 'Sein', 'Erkennen' und 'Lieben' als 'Trinitatsabbildung' («image de la Trinite») aufgefa?t wird. Descartes versuchte, indes, auf keine Weise, den Sinngehalt dieser Vorgabe zu eruieren. An deren Stelle setzte er vielmehr -kommentarlos und ohne irgendeine argumentative Vermittlung- sein «Moy, qui pense»7. Damit aber waren die Weichen fur die ihm nachfolgenden Subjektsphilosophien und deren ontologische «Kurzschlussigkeit» gestellt.

Die nach-cartesianische Tranzendentalphilosophie ist, vïn daher gesehen, nicht blï? durch Seins-, sondern vielmehr und eigentlicher durch Trinitats-Vergessenheit charakterisiert. Dies zeigt sich zunachst im Dialektizismus, fur welchen Relativierung des Seins und des Nichts grundlegend ist, an zweiter Stelle im Positivismus, der (wie an den beiden Phasen des Wittgensteinschen Philosophierens zu sehen ist) in Ermangelung des Ontisch - Intergativen die Kluft zwischen Logischem und Empirischen nicht mehr zur uberbrucken vermag, und schlie?lich, drittens im Existentialismus, der die dialektische und positivistische Denkungsart in sich aufnimmt und -als Resultat hiervon- die Verzweiflungserfahrungen, die vom Scheitern alles menschlichen Denkens und Tuns herruhren, zum Ausdruck bringt. Én dieser Negativ-Triade «vereinigt» sich gewisserma?en die dreifache Selbstzersplitterung des neuzeitlichen Nihilismus(8).

Seit Descartes versuchte sich die subjekt-zentrierte Rationalitat im Autonomie-Experiment und in radikaler Selbstbestimmung zu verwirklichen. Bisher «ungeahnte» Moglichkeiten wurden hierbei im menschlichen Bewu?tsein und -vermittels desselben- in der Natur aufgedeckt und, vor allem durch die Technik, zur Anwendung gebracht. Die vïn daher ruhrenden positiven Wirkungen des bewu?tseins-philosophischen Ansatzes stehen au?er Zweifel. Doch wird in der derzeit sich weltweit ausbreitenden okologischen Krise auch offenkundig, da? ein fundamentales Umdenken vonnoten ist. Én diesem geht es nicht so sehr darum, au?ere Strukturen zu andern oder eine irrationale Rationalitatskritik zu liefern. Es soll vielmehr der an sich positive Seinsinn vïn Rationalitat gesichtet und vïn daher deren innere Selbst- gefahrdung deutlich gemacht werden.

Rationalitat ist Wahrheit, solange sie dasjenige was «ist» und «sein» kann, ausdrucklich werden la?t, d.h. solange sie Seins-Moglichkeiten reprasentiert. Ihre «Legitimationsschwierigkeiten» beginnen jedoch damit, da? sie -vermittels einer Hypostasierung des Blï?-Moglichen- jegliche Beziehung zu dem ihr innerlich vorgangigen Wirklich-Sein leugnet. Sie will sich dabei auf unbedingte Weise konstituieren; und das bedeutet, da? sie sich aus nichts -aus «dem Nichts»- selbst hervorzubringen versucht. Damit aber fuhrt sie sich selbst in eine Aporie hinein, welche darin besteht, da? sie der absoluten Selbst-Setzung wegen das Sein, das sich im menschlichen Bewu?tsein immer schon ausgedruckt hat, bevor dieses anfangt uber dasjenige, was das Sein uberhaupt ist, nachzudenken, aus «methodischen» Grunden zum Verschwinden bringt. Dies aber fuhrt zur Selbstuberforderung der menschlichen Rationalitat und, in der Folge hiervon, zu den im neuzeitlichen Philosophieren wohl bekannten Ubersteigerungen und Uberspanntheiten. Es treten einerseits (bes. im Deutschen Idealismus, bei Schelling, Fichte und Hegel) die totalitaren Systematisierungen und die titanischen Projekte der' 'absoluten Konstruktion' zutage. Andererseits aber kommt es, gewisserma?en als Pendant hinzu, im nihilistischen Philosophieren (z. B. bei Nietzsche, Sartre und neuerdings bei Cioran) zu ma?los-schwelgerischen Beschreibungen der «vïllkïmmenen» Absurditat, Nutzlosigkeit und Schalheit des menschlichen Daseins(9).

Inmitten dieses brusken Umschlagens manifestiert sich der vielberufene «Verlust der Mitte»(10). Hierbei scheint es ein unvermeidliches «Geschick» des modernen Menschen zu sein, da? seine Apotheose der Rationalitat sich unversehens in eine Apotheose des Nichts und des Chaos wandelt. Nicolai Hartmann versucht die darin sich zeigende Dialektik aufzubrechen, indem er am Idealismus und Neuplatonismus die «angema?te Zentralstellung(11) des menschlichen Bewu?tseins kritisiert und die 'kopernikanische Wende' des Kant umzuwenden trachtet. Doch kann diese seine Kritik die «Mitte» nicht halten und schie?t uber das (an sich berechtigte) Ziel hinaus. Hartmann proklamiert die Dezentralisierung der Vernunft und spricht hierbei vïn einer «totalen Einbettung des Rationalen in eine gro?ere Sphare des Irrationalen(12), welches (ahnlich wie bei Sartre) das Sein-in-sich-selbst sein soll.

Das aber hei?t m.a.W., da? die neuzeitliche Rationalitat im Versuch ihrer Selbstkritik den cartesianischen Dualismus vïn 'res cogitans' und 'res extensa'(13) keineswegs zu eliminieren vemag. Am Ende der neuzeitlichen Epoche sieht sich der Mensch einer fatalen dialektischen Antithese uberliefert, - der Antithese vïn Vernunft ohne Sein und Sein ohne Vernunft. Von daher aber ruhrt die Diskrepanz, welche Jaspers ausdruckt, indem er sagt: «Ich bin nicht, was ich erkenne, und ich erkenne nicht, was ich bin»(14).


ÉÉ.

Im Anschlu? an diese gedrangten Erlauterungen wird es vielleicht moglich, den Ausgangspunkt der Augustinischen Anthropologie und deren Aktualitat besser einzuschatzen. Augustinus vermeidet wohlweislich die dialektische Alternative, die fur das neuzeitliche Denken charakteristisch ist. Er ist deshalb -wie sich noch deutlicher zeigen wird vermittels eines analogisch-integrativen Wirklichkeitsverstandnisses- tatsachlich in der Lage, die geistige Niedergeschlagenheit, welche dem Nihilismus nachfolgt, zu uberwinden.

Nach Augustinus ist der Mensch nicht blï? ein zufalliges und fluchtiges Phanomen am Rande des Universum; er ist aber auch nicht absolute Mitte aller Dinge (so wie man dies seit der Renaissancezeit bisweilen annahm); er ist vielmehr als relative (bzw. relationale) Mitte zu umschreiben.

Bei Descartes und Kant beginnt zwar, ebenso wie bei Augustinus, der Proze? der Selbstvergewisserung vermittels einer Ruckwendung des Menschen auf sich selbst hin. Doch ist hierbei freilich eine nicht unerhebliche Differenz zwischen neuzeitlicher Subjektivitat und augustinischer Geistinnerlichkeit zu beobachten:

Die Subjektivitat schlie?t sich in sich selbst ein. Da sie die Bedingungen der Veranderlichkeit und Zeitlichkeit, die sie in sich vorfindet, als unhintergehbar auffa?t, identifiziert sie das Sein ihres eigenen Bewu?tseins mit dem Sein uberhaupt. Auf diese Weise aber entsteht die Dialektik, welche eine «Theorie des Seienden sub specie temporis»(15) darstellt, d.h. eine Theorie in welcher der Gehalt vïn 'Ewigkeit' auf direkte Weise im 'Zeitlichkeitsproze?'(16) zum Ausdruck kommt. Dies aber hat, naher besehen, zur Folge, da? Defizienzphanomene sich vergottlichen und, in umgekehrter Weise, das Gottliche mit der Inkonsistenz des Endlichseienden vermischt wird. Der Mensch, der unter derartiger Seins- «Theorie» nach der Identitat seiner selbst und der Dinge sucht, ist -was spatestens die Existentialisten erkannt haben- «zum Scheitern verurteilt».

Bei der Innerlichkeit scheint sich die Sache anders zu verhalten: Augustinus bezieht die Differenz zwischen Sein und Erkennen, welche er in der Veranderlichkeit des menschlichen Geistes beobachtet, einzig und allein aufs Menschsein. Er hutet sich davor, sie zur «schopferischen» Differenz umzustilisieren, so wie dies (freilich in ontologisch unzureichender Weise) bei den Dialektikern geschieht. Jene Differenz markiert fur Augustinus vielmehr eine Werdebedingung des Menschen; sie ist ihm ein Indiz, da? der 'innere Mensch', der im originaren Sachverstand nach wirklicher Selbstforschung trachtet, keineswegs in der Dimension der Zeitlichkeit zu bleiben vermag. Denn in dieser ware die fortwahrende Selbstrelativierung unaufhebbar. Das aber hei?t: Um im Seinsursprung (der als uberzeitlicher die vollkommene Durchdrungenheit vïn Sein und Erkennen darstellt) die Sinngestalt vïn Seiendem entdecken zu konnen, mu? sich der zeitliche Mensch zu entzeitlichen versuchen. Wie namlich sollte Ursprungserfahrung moglich sein, wenn der Mensch nicht -in sich bleibend- uber sich hinausstrebte?

Der Mensch versteht sich vïn daher als ein Seiendes, das in der Zeit zugleich auch uber der Zeit ist. Seine Wesenstatigkeit besteht im innerlichen Ek-sistieren (d.h. in einem geistimmanenten Hervortreten, welches sich innerhalb des Horizonte des 'Deus interior intimo suo'(17) vollzieht). Von daher aber la?t sich sagen, da? Augustinus, der die Entzeitlichung des Zeithaften anstrebt, im wortlichen Sinne 'ek-sistenzialistischer' ist als die neuzeitlichen Existentialisten, welche Zeit und Geschichte hypostasieren. Das vorher Gesagte legt es aber auch nahe, die Feuerbach-These, welche lautet: «Das Geheimnis der Theologie ist die Anthropologie»(18) umzukehren in: 'Das Geheimnis der Anthropologie ist die Theologie'(19).

Diese Umdrehung hat wichtige Konsequenzen hinsichtlich der Selbstvergewisserung des Menschen. Dieser versteht sich nun nicht mehr als absolutes Zentrum «in anima», vermittels des inneren Emporstrebens ruhrt er vielmehr an das wahrhaft Absolute «supra animam»(20) Er befindet sich nicht mehr, wie im dialektischen Idealismus, unter dem «Leistungsdruck» der absoluten Konstruktion; er ist m.a.W. vïn der Emanzipationsideologie emanzipiert.

Ohne Verkrampfungen und Ubersteigerungen kann der Augustinische Mensch sein «experimentum medietatis»(21) vollziehen. Als zeitliches Zentrum ist er in seiner Geistinnerlichkeit offen fur alles: sowohl fur raum-zeitlich veranderliche Sinnenwelt als auch fur deren Sinngrund, das ewige und unvergangliche Gottliche, das er in sich wahrzunehmen vermag. Augustins Konzeption der Geistinnerlichkeit stellt vïn daher einen deutlichen Gegensatz zum Solipsismus des rationalistischen Denkansatzes dar. Denn dem 'inneren Menschen' steht es frei, sich allem mitzuteilen und vïn allem seine 'Informationen' zu empfangen. Er bildet sich nicht ein, -in sich und vïn sich her- die schlechthinnige Allheit vïn Seiendem zu sein. Eben deswegen aber vermag er es, sich in einem lebendig - freien Wechseltausch mit allem «Anderen» zu realisieren.

Die Augustinische 'Innerlichkeit' charakterisiert sich vermittels der Paulinischen Frage «Was hast du, das du nicht empfangen hast»(22) im Horizont seiner Mitteilsamkeit. Im ihrer Selbstvergewisserung kann sie daher auch das Sein «sein» lassen. Ihr liegt nicht daran, Sein -im dem sie immer schon ist, bevor sie anfangt zu erkennen, was ihr Sein und das Sein uberhaupt ist- zu verdrangen oder zu verschleiern.

Das hei?t mit anderen Worten: Im Augustinischen Philosophieren ist das Sein als innere Voraussetzung des Erkennens aufgefa?t, worin (wie es scheint) der wesentliche Unterschied zum neuzeitlichen Selbstbewu?tsein markiert ist. Wir konnen dies deutlicher einsehen, wenn wir uns vergegenwartigen, was Descartes zu Beginn seiner dritten Meditation sagt; es hei?t hier: «Ich werde jetzt meine Augen schlie?en, meine Ohren verstopfen und alle meine Sinne ablenken, auch die Abbilder korperlicher Dinge samtlich aus meinem Bewu?tsein tilgen oder, da dies wohl kaum moglich ist, sie doch als eitel und falsch fur nichts achten»(23).

Én dieser Passage au?ert sich ein Denken, das sich in der abstrakten Leere seiner selbst zu konstituieren versucht und welches deswegen (mit Heidegger) als 'seinsvergessen' zu charakterisieren ist.

Dieser Tadel der 'Seinsvergessenheit' kann sicherlich nicht auf die Augustinische Konzeption der Geistinnerlichkeit bezogen werden. Denn nach Augustinus kann das Sein au?erhalb, innerhalb und oberhalb der menschlichen Geist-Innerlichkeit erfahren werden. Anders als Descartes versucht er daher nicht, die 'Abbilder der korperlichen Dinge', welchen er im Gedachtnis begegnet, zu tilgen. Im Gegenteil, er gewahrt und bewahrt sie mit gro?em Erstaunen und Bewunderung in der transzendentalen Weite seines Geiste. So ruft er etwa aus: «Grï? ist die Kraft des Gedachtnisses! Ich wei? nicht, mein Gott, welch gewaltige Macht es ist. Ich wei? nicht, welch tiefe und unbegrenzte Vielheit es darstellt. Und eben dies ist der Geist, eben dies bin ich selbst. Was bin ich also, mein Gott? Was bin ich fur ein Wesen? Ein Leben, so mannigfach und vielgestalt und vollig unerme?lich!»(24).

Sobald der Mensch den inneren Uberflu? und die Fulle seines Gedachtnisses aufdeckt, wird ein bedeutsamer Schritt vollzogen, der vïn Menschen in der Welt zur Welt im Menschen hinuber -bzw. hineinfuhrt. Dank der 'Schatzkammer des Gedachtnisses'(25), in welcher die ausgedehnten Dinge in unausgedehnt- intensiver Weise versammelt sind, gewinnt der Mensch eine legitime Souveranitat hinsichtlich der raum-zeitlichen Welt. Doch haben wir hier zu beachten, da? unser Erkennen -inhaltlich betrachtet- nicht aus Nichts entsteht, sondern aus dem «Etwassein unseres Geistes»(26). (Das genannte Nichts -das Nichts der Indifferenz- ist lediglich Werdebedingung, aber nicht Seinsgrund unseres Erkennens.) Und geradeso, als ob er den idealistischen Konstruktivismus zuruckweisen wollte, sagt Augustinus: «Das Erkennbare bringt die Erkenntnis hervor, es wird nicht durch die Erkenntnis hervorgebrach»(27).

Das Erkennen realisiert sich ma.W. nicht «a solu intellectu», wie es Descartes formuliert(28). Es ist vielmehr eine Tatigkeit des Menschseins, welches vermittels des Gedachtnisse die Erfahrungen der Welt, seiner selbst und des Gottlichen in sich vorausenthalt und diese Erfahrungen im Erkenntnisakt intellektuell ausformt. Das Erkennen stellt unter diesem Aspekt eine «Selbstzeugung» des Seins(29) oder einen Hervorgang des Seins aus sich selbst dar. (Damit aber zeigt sich, da? sich die Rehabilitierung der ontologischen Frage, um welche sich Nicolai Hartmann angesichts der subjektozentrischen Rationalitat bemuht, im Horizont des augustinischen Philosophierens erubrigt. Denn die menschliche Geistinnerlichkeit, welche im Sein der Gedachtnisinhalte begrundet ist, stellt eine spezielle Dimension dar, in welcher die Frage nach dem 'Sein an sich' gestellt und aufgehellt werden kann(30).)

Weil das Sein selbst kein «Jenseits» aufzuweisen hat -was namlich sollte «jenseits des Seins sein konnen, wenn nicht das Nichts ist?-, ergibt sich, da? auch die menschliche Selbsterkenntnis, welche wesenhaft in der Realitat des Seins grundet, nicht als eine 'Entfremdung' oder eine 'Dekomposition' des Seinsgehaltes erlautert werden kann. Sie stellt vielmehr einen geistimmanenten Hervorgang im Sinne der reinen Relation dar(31).

Dies alles wird deutlicher, wenn wir unseren Denkakt als 'inneres Wort' bzw. als ein 'Sich-Aussprechen' des Gedachtnis-Seins verstehen, so wie es Augustinus im 15. Band vïn 'De Trinitate' ausfuhrt; er sagt hier: «Es mu?, wenn wir die Wahrheit sprechen, das hei?t, wenn wir sprechen, was wir wissen, aus eben dem Wissen, welches wir im Gedachtnis haben, das Wort geboren werden, das ganzlich vïn jener Art ist, vïn der auch das Wissen ist, vïn dem es geboren wird. Der vïn der gewu?ten Sache geformte Gedanke ist namlich das Wort, das wir im Herzen sprechen»(32). Dieses Wort ist nicht griechisch, auch nicht lateinisch oder hebraisch; es gehort uberhaupt nicht zu irgendeiner Einzelsprache. Es ist vielmehr «das wahre Wort vïn der wahren Sache, das Wort, das nichts vom Eigenen her besitzt, sondern alles vïn jenem Wissen her, vïn dem es geboren wird»(33).

Das hei?t: Wahrend die neuzeitliche Denkungsart vornehmlich auf Beherrschung und sogar auf die Konstruktion vïn Wirklichkeit abzielt, stellt das Erkennen, so wie es Augustinus versteht, in erster Linie eine Hingabe und einen Ruckbezug auf den Seins-Grund, der es immer schon ermoglicht hat, dar. Erkennen bedeutet demnach weniger einen Bemachtigungsakt als vielmehr ein Dienen. Dieses und nicht jener ist das «Hochste». Welch ein Dienen aber? - Ein Dienen, das dem dienenden Sich-Verstromen des gottlichen Ursprungs dient.

Dieser Ursprung tritt «nach» der Zeugung des Wortes -was im konstitutiven, nicht aber temporalen Sinn verstanden werden will- noch einmal aus sich hervor, und zwar auf solche Weise, da? er das aus ihm Hervorgetretene als Geschenk entgegennimmt(34). Wahrend sich namlich der Ursprung in sein 'Wort' hinein ausdehnt und dieses sich auf jenen hin zuruckbeugt [jenen «re-flektiert»), eroffnet sich inmitten der intellektualen Distanz, in welcher beide bestehen, die Moglichkeit zur totizipativen Liebes-Begegnung. Durch diese und in dieser reprasentiert sich die Gute des Seins als subsistierendes Zusammenfluten vïn 'Ursprung' und 'Wort', -als wechselseitige sich bestatigende Bezogenheit vïn 'Realitat' und 'Idealitat'.

Damit aber sind die Fundamentalstruktur und der Bewegungsrythmus angedeutet, welche das 'Innere' des Augustinischen Innerlichkeitskonzeptes ausmachen. Jeder Mensch hat daran Anteil, wenn er -unter der Bedingung der Zeitlichkeit- aus dem Gedachtnis -Inhalt das Erkenntnis- Abbild hervortreten laa?t und die Reziprozitat dieser beiden Geistmomente als einigende Liebe realisiert. Hierbei handelt es sich freilich nicht um zufallige oder beliebig auswechselbare menschliche Akte. Es ist vielmehr eine (im Selbstvollzug des Seins begrundete) «apriïrische» Struktur vorgestellt, welche in der lebendigen Aktualitat seiner 'koinzidentalen Selbstdurchdringung'(35) die unerschopfliche Fulle des Gottlich-Absoluten manifestiert.

Augustinus gibt sich nicht der Illusion hin, da? er die Tiefe des Trinitats-Mysteriums durch seine Begrifflichkeit definitiv «ausloten» konne. Én zahlreichen Triaden(36) versucht er immer wiede aufs neue das Trinitarische als integrative Grundwirklichkeit alles Seienden auszulegen(37).

Hierbei bevorzugt er zweifellos Trinitatsanalogien, welche sich im 'inneren Menschen' aufweisen lassen. Die Bedeutsamkeit dieses seines Verfahrens liegt hinsichtlich der desolaten Situation nihilistischer Subjektozentrik deutlich vor Augen. Denn der Mensch, der sorgfaltig den Proze? und die Selbstentfaltung seiner Geistinnerlichkeit beobachtet, gewinnt hierin ein ontologisches Selbstverstandnis, das innere Bestandigkeit gewahrt. Dank dieses Verstandnisses ist er in der Lage, sowohl der abgrundigen Leerheit subjektivistischer Formalitat als auch der absurden Blockade durch objektivistisch-irrationale Inhaltlichkeit zu entgehen. Jenseits dieser beiden Extreme la?t er in sich das originare Licht, das uber ihm ist, aufscheinen: - den Ursprung, der alles Seiende -indem er in sich bleibt- «vïn innen heraus» zu erneuern vermag.




NOTES

1. Vgl. Franciscο Sánchez- Blancο, «Michael Sevets Kritik an der Trinitätslehre: Philosophische Implikationen und historische Auswirkungen», (Europäische Hochschulschr. XX/28), Frankf./Μ.-Bern-Las Vegas 1977.

2. Vgl. Daniel Ζwicker, De contradictione, s.l. 1666, S. 3: «...Est vero animus, probare, Ecclesias commemoratas (i. e. Romanam, Graecam, Lutheranam & Calvinianam) in re capitali & gravissimi momenti, puta, sententia de Trinitate, adeo sese contradictionis reas fecisse, ut, nisi protinus maculam hanc eluant, nοn videam, quomodo Deum sibi habere possint propitium faventemque» [Hervorh. E.S.].

3. Vgl. Ludοvicus Wο1zοgenius , «De unο deo patre». Ιn: Bibliotheca fratrum Pοlonorum. Vol. 8, Irenopoli 1656, Anhang S.15-40, bes. S.39: «Sententia ista de Triunο Deo... manifestae veritati naturali, cujus fundamentum à Deo in humana ratione est positum, adeo est contraria, ut jure dici queat, numquam quicquam in ulla religione prolatum & confictum esse, quod humanum intellectum ita per tortuosos inextricabilium diificultatum maeandros circumducat, omniaque prorsus adminicula... ei adimat».

4. Vgl. hierzu vor allem Günter Μühlpfοrdt, «Arianische Exulanten als Vorboten der Aufklärung. Zur Wirkungsgeschichte des Frührationalismus polnischer und deutscher Arianer. Ιn:Johannes Irmscher» (Hrsg.), Renaissance und humanismus in Mittel - und Osteuropa, Bd. 2, Berlin 1962, S. 220-240; Gοttfried Schramm , «Antitrinitarier in Pοlοn 1556-1658». Ιn: Bibliothèque d'Humansime et Renaissance 21 (1959) 473-511; Erwin Schade1, «Antitrinitarischer Sozinianismus als Motiv der Aufklärungsphilosophie». Ιn: Klaus Schaller (Hrsg.), Zwanzig Jahre Comeniusforschungsstelle in Bochum», St. Augustin 1990, S. 1260-287; Ferner die 12 Beiträge in Wolfgang Deppert/ Werner Erdt/ Aart de Groot (Hrsgg.), Der Einfluß der Unitarier auf die europäisch-amerikanische Geistesgeschichte. Vorträge der ersten deutschen wissenschaftlichen Tagung zur Unitarismusforschung vom 13-14,Juni 1985 in Hamburg (Unitarismusforschung. Bd. 1), Frankf. /Μ. -Bern-New York-Paris 1990.

5. Vgl. Μ .Servetus, De Christianismi restitutio, s. l. 1553, Repr. Frankf. /Μ. 1966, S. 189: «Vere ante creationem nec erant Dei in se ipsum motus, nec erat actio, nec passio. Nec realis generatio, nec emanatio, nec sufflatio, nec spiratio, nec productio. Nemo spirabat, nemo spirabatur».

6. Vgl. Ebd., S.32: «Augustinus ...internas... de trinitate nobis esse mentis illusiones somniat». Ιn diesem Satz ist eine hastige Kritik eingeflochten. Ιn entzerrter Form müßte er wohl lauten: 'Augustinus internas der trinitate nobis esse mentis [processiones] somniat [quas ego M.S.] illusiones [esse puto]'.

7. Vgl. René Descartes , OEuvres, publ. par Ch. Adam et P.Tannery.Vol.ΙΙΙ: Correspondance, Paris 1956, S. 247.

8. Vgl. dazu die detaillierteren Erläuterungen in E. Schadel (Hrsg.) Bibliotheca Trinitariorum. Vol.1, Paris - München -New York-London 1984, S.VII-XX.

9. E. Schadel, «Sartres Dialektik vοn Sein und Freiheit. Existenzialistische Absurditätserfahrung als Konsequenz positivistischen Wirklichkeitsverständnisses». Ιn: Theologie und Philosophie 62 (1987) 196-215; vοn E.Μ. Ciοran z.B: Die verfehlte Schöpfung, Frankf/Μ.1979; Sylogismen der Bitterkeit, ebd. 1980.

10. Vgl. Hans Sedlmayr , Verlust der Mitte. Die bildende Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts als Symptom und Symbol der Zeit, Darmstadt 1961.

11. Vgl. N. Hartmann , Das Problem des geistigen Seins Berln 21962, S. 115.

12. Vgl. ders. , Grundzüge einer Metaphysik der Erkenntnis Berlin 21965, S.285.

13. Vgl. R. Descartes , Meditationes de prima philosophia VI, § 9.

14. Vgl. Κarl Jaspers , Die geistige Situation der Zeit, Berlin 21955, S. 163

15. Vgl. Οscar Daniel Brauer , Dialektik der Zeit. Untersuchungen zu Hegels Metaphysik der Weltgeschichte, Stuttgart 1982, S.148.

16. Vgl. ebd, S.145.

17. Vgl. Augustinus, Conf. ΙΙΙ, 6,11.

18. Vg. Ludwig Feuerbach , «Vorläufige Thesen zur Reform der Philosophie (1842)». Ιn. H.Reichelt (Hrsg.). Texte zur materialistischen Geschichtsauffassung, Frankf./Μ.-Berlin-Wien 1975, S. 236-253, Zitat, S. 236.

19. Aus dieser Umkehrung resultiert das Forschungsprojekt einer 'naturlichen Theologie'; vgl.dazu Heinrich Beck, Natürliche Theologie Grundrιß philosophischer Gotteslehre, München-Salzburg 21988; E. Schadel, «Anthropologischer Zugang zum Glauben. Implikationen der Beckschen Religionsphilosophie als konstruktive Kritik neuzeitlichen Wissenschaftsverständisses in trinitätsmetaphysischer Perspektive». Ιn: Freib. Zeitschr. für Philosophie und Theologie 36 (1989) 129-158.

20. Ζu dieser Unterscheidung 'in anima'-'supra anima' vgl. Augustinus , De musica VI, 12,34.

21. Vgl. ders . De Trinitate XΙΙ, 11,16.

22. Vgl. z.B. Augustinus , Conf. XΙΙΙ, 14,15 (1 Κοr. 4,7).

23. Vgl. R. Descartes, Meditationes de prima philosophia ΙΙΙ, § 1.

24. Vgl. Augustinus, Conf. X, 17,26: «Μagna vis est memoriae, nescio quid horrendum, deus meus, profunda et infinita multiplicias. Et hoc animus est, et hoc ego ipse sum. Quid ergo sum, deus meus? Quae natura sum? Varia, multimoda vita et inmensa vehementer!»; dazu bes. Gοttlieb Söhngen, «Der Aufbau der augustinischen Gedächtnislehre». (Confessiones X, c. 6-27). Ιn Söhngen, Die Einheit in der Theologie. Gesammelte Abhandlungen, Aufsätze, Vortäge, München 1952, S. 63-100.

25. Vgl. Augustinus, Conf. X, 8,14.

26. Vgl. ders., De Trinitate XV, 15,25: «Concedamus... vocandum esse verbum [interius] quidam illud mentis nostrae, quod de nostra scientia formari potest».

27. Vgl. ebd XIV, 10,13: «Cognoscibilia cognitionem gignunt, nοn cognitione gignuntur».

28. Vgl. R . Descartes, Meditationes de prima philosophia ΙΙ, § 16.

29. Vgl. hierzu Augustinus, De Trinitate ΙX, 12,18: «Concipitur pariturque nοtitia» Hugο Rahner , «Gottesgeburt. Die Lehre der Kirchenväter vοn der Geburt Christi im Herzen der Gläubigen». Ιn: Zeitschr. für kath. Theologie 59 (1935) 333-418; Thοmas v. Aquin, S. contra gent. IV, c. 11: 'Quomodo accipienda sit generatio in divinis'.

30. Vgl. hierzu H. Beck , Der Aktcharakter des Seins. Eine spekulative Weiterführung der Seinslehre Thomas v. Aquins aus einer Anregung durch das dialektische Prinzip Hegels, München 1965, bes. S. 127-132.

31. Vgl. hierzu Franz Μaria Sledaczek, «Die Selbsterkenntnis als Grundlage der Philosophie -nach dem hl. Augustinus». Ιn: Scholastik 5 (1930) 329-256, bes. S. 349; Luis F. Ladaria Ferrer , «'Persona' y 'relación' en el 'De Trinitate' de San Agustin». Ιn: Miscellanea Comillas 30 (1972) 245-291.

32. Vgl. Augustinus , De Trinitate XV, 10,19: «Necesse est... cum verum loquimur, id est, quod scimus loquimur, ex ipsa scientia quam memoria tenemus nascatur verbum quod eiusmodi sit οmninο, cuiusmodi est illa scientia de qua nascitur. Formata quippe cogitatio ab ea re quam scimus, verbum esta quod corde dicimus».

33. Vgl. ebd XV, 12,22: «[Est] verbum verum de re vera, nihil de suo habens, sed totum de illa scientia de qua nascitur».

34. Vgl. Ebd.V,14,15: «[Spriritus sanctus] exit... nοn quomodo natus, sed quomodo datus».

35. Vgl. Rudοlph Ber1inger, Augustins dialogische Metaphysik, Frankf./Μ. 1962, S. 173: «Das Sein ergibt sich nicht analytisch aus dem Akt des Selbstdenkens, sondern in den sich immer wieder zur Einheit coinzidierenden Triaden. Diese Einheit ist... eine coinzidentale Selbstdurchdringung der Drei zur Einheit und eine Ausfaltung der Eins in die Dreiheit».

36. Vgl. hierzu die entsprechenden Auflistungen in Luis Arias, «Introduccion». Ιn: Obras de San Agustin. Vol. V: La Trinidad, Madrid 41985, S 3-112, bes. S. 97; J. Ιturriοz , «E1 trinitarismo en Ιa filosofia de San Agustin». Ιn: Revista espaňola de teologia 3 (1943) 89-128, bes. S. 118 f.; Οlivier du Rοy . L' intelligence de la fοi en la Trinité selon saint Augustin. Genèse de sa théologie jusqu'en 391, Paris 1966, S. 537-540: 'Table des triades'; Jοsef Tschοll, Gott und das Schöne beim hl. Augustinus, Heverlee-Leuven 1967, S. 137-142; Jacques J. Verhees, God in beweging. Een onderzoek naar de pneumatologie van Augustinus, Waningen 1968, S. 272-276 und 316.

37. Vgl. hierzu Antοniο Espade, «Introducción a la dialéctica de San Agustin. Dimensión trinitaria del ser». Ιn: Estudio agustiniano 3 (1968) 55-79, ders., El mundo como vestigio de Dios Uno y Trino, según San Agustin. Ebd. 9 (1974) 395-418; Victοrinο Capanaga , «La ontologia triádica y trinitaria en S. Agustin y m.F.Sciacca». Ιn: Rivista rosminiana 70 (1977) 361-367; Μaurice Nédοncelle, «L' intersubjectivité humain est-elle pour saint Augustin une image de la Trinité? Ιn: Augustinus Magister. Vol Ι, Paris 1954, S. 595- 602; Μaria Jοsefina Santuchο, «Sein-Wissen-Lieben. Ontologische Erläuterungen zur Augustinischen Konzeption menschlicher Geistinnerlichkeit». Ιn: E.- Schadel / U.Voigt (Hrsgg.), Sein - Erkennen - Handeln. Ιnterkulturelle, ontologische und ethische Perspektiven. Festschrift für H. Beck zum 65. Geb., Frankf./ Μ.-Berlin-Bern-New York-Paris-Wien 1994, S. 439-446. Hοrst Seidl , «Die Trinität Gottes in seiner Selbsterkenntnis und - liebe nach Augustinus 'De Trinitate'. Ebd. S. 427-438.

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