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Panagiotis Boumis

Wissen, Wahrheit und Freiheit

Einleitung


Eines der ältesten Idealziele des Menschen war unter anderem die Erringung der Freiheit. Und dieses Gut der Freiheit ist auch heute noch ein Ideal. Weil aber auch das Wissen heutzutage vergöttert wird, so werden diese beiden Güter (Wissen und Freiheit) von vielen als Einheit gesehen. Gewöhnlich betrachtet man die Aneignung von Wissen als Voraussetzung der Freiheit. Deshalb wird ersteres angestrebt, um als Rüstzeug, Mittel und Waffe der Erringung des zweiten Gutes zu dienen.

Diesem Thema, der Verbindung von Wissen und Freiheit, wollen wir uns im Lichte der folgenden Bibelstelle theologisch nähern: »και γνώσεσθε την αλήθειαν και η αλήθεια ελευθερώσει υμάς« (Joh 8,32). Wir könnten freilich noch hinzufügen, daß sich die oben genannte Verbindung und Vereinigung von Wissen und Freiheit vielleicht gerade unter dem Einfluß dieser Stelle von Johannes dem Evangelisten in der christlichen Welt durchgesetzt hat.

Wie es aber scheint, geschieht mit diesem Zitat leider dasselbe, was auch mit jenem Zitat des Apostels Paulus geschieht, welches lautet: »εί τις ου θέλει εργάζεσθαι μηδέ εσθιέτω« (2 Thess 3,10). Diese Stelle verändern viele vielleicht zugunsten der Kürze und sagen: »Ο μη εργαζόμενος, μηδέ εσθιέτω«. Es besteht aber ein großer inhaltlicher Unterschied zwischen der einen und der anderen Variante des Zitats. Denn der Apostel Paulus sagt keinesfalls, daß nicht essen solle, wer nicht arbeite, weil er etwa krank sei oder keine Arbeit finde. Vielmehr bezieht er sich eindeutig auf jenen Fall, wo jemand aus Unlust oder Faulheit nicht arbeiten will, obwohl er dazu in der Lage wäre -dann freilich soll er auch nichts zu essen bekommen.

Damit aber bei unserem Thema keine solche Fehlinterpretation, keine unangebrachte Verbindung von Wissen und Freiheit geschieht, und um jede Verwirrung zu vermeiden, wollen wir versuchen, die Dinge zu ordnen und uns möglichst klar und kurz zu fassen. Denn schon unseôe Vorfahren in der Antike sagten: »Weise ist, was klar ist«. Außerdem warnen uns auch die Worte der Heiligen Schrift, wenn dort zu lesen ist: »Ήτω δε υμών το ναι ναι και το ου ου, ινα μη υπό κρίσιν πέσητε« (Jak 5, 12).

Um also mit Hilfe der oben angeführten Methode zu möglichst richtigen Schlüssen zu gelangen, sei uns erlaubt, die Ausarbeitung des Themas in folgende Hauptpunkte zu gliedern: a) Das Wissen als Inhalt. b) Das Wissen als Streben und Funktion. c) Die Vervollkommnung des Wissens und die Erringung der Freiheit.


á) Das Wissen als Inhalt

Viele im Lebenskampf stehende Menschen, die nach der Freiheit verlangen, versuchen auf jede Art und Weise Wissen, und zwar möglichst viel Wissen zu erlangen. Ist dies nun richtig? Erreicht man mit dieser Methode, mit diesem Mittel das angestrebte Ziel? Wir glauben, daß dies in Frage zu stellen und anzuzweifeln ist. Denn zumindest die Geschichte und das tägliche Leben der Menschen und ihre Erfahrungen scheinen damit nicht übereinzustimmen.

Wie uns der von Gott erleuchtete Mose in der Schöpfungserzählung berichtet, ist das Gegenteil der Fall -denn sobald der Mensch den Versuch unternommen hat, sich Wissen, viel Wissen anzueignen, um schließlich allwissend ein Gott zu werden, indem er vom Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen aß, verlor er seine Unsterblichkeit, seine Selbstbestimmung und somit seine Freiheit. Seitdem sucht er danach auf vielerlei Wegen. År setzt sich die Freiheit als Ziel und als sein Ideal.

Aber auch der Alltag stellt dieses Zeugnis nicht in Frage. Diesbezüglich ist allgemein bekannt, daß viele sagen: »Ich wollte, ich wüßte nicht all das, was ich weiß«. Dieser »Seufzer« bedeutet zumindest, daß sich diese Menschen als mit bestimmtem Wissen ÜBERLADENE, als von diesem Wissen GEFANGENE betrachten, was nicht mit dem Begriff der Freiheit übereinstimmt. Denn Freiheit ist die Unabhängigkeit von jedem äußeren Willen, jeder äußeren Macht und Gewalt oder von allen inneren Trieben und Schwächen.

Zudem ist bekannt und unbestritten, daß »η γνώσις φυσιοί« (1 Kor 8,1 ). Und tatsächlich ist jemand, der vom Strom des Wissens fortgerissen wird, nicht frei, sondern gebunden und somit ein Gefangener. Heute stehen wir, wie es heißt, vor einer »Explosion« des Wissens, der vielen und der verschiedensten Kenntnisse. Wer kann also bestreiten, daß sich diese Überflutung des Menschen mit Eindrücken, dieses »Überrumpelt-Werden«, diese »Ekstase« hemmend auf die Freiheit der Person auswirkt? Unter diesem »Druck des Wissens« ist es nur natürlich, daß man sich nicht frei fühlt, und es ist zu erwarten, daß man erdrückt wird und nicht standhält.

Aus diesem Grund ist es selbst für die Weitergabe von Kenntnissen in wissenschaftlichen Belangen pädagogisch notwendig, daß dies dosiert, fortschreitend und gemäß den Voraussetzungen und der Aufnahmefähigkeit der entsprechenden Personen geschieht. Erinnern wir uns nur an die weisen Worte, die Jesus Christus an seine Schüler richtete: »Έτι πολλά έχω υμίν λέγειν, αλλ' ου δύνασθε βαστάζειν άρτι όταν δε έλθη εκείνος, το πνεύμα της αληθείας, οδηγήσει υμάς εις πάσαν την αλήθειαν« (Joh 16,12-13).

Natürlich kann jemand nicht als frei angesehen werden, wenn er mit trügerischem und falschem Wissen vïll und überladen ist.

Áll diese - und es sind wenige - Gründe, die angeführt wurden, lassen es nicht zu zu sagen, daß Freiheit und Wissen, gemeint ist jedwedes Wissen, eine Einheit darstellen, und noch viel weniger, daß Freiheit die Folge von vielem Wissen, von einer Unmenge von Wissen ist. Das Zitat, das wir als »Faden der Ariadne«, als Richtschnur der vorliegenden Veröffentlichung verwenden, gibt uns an diesem Punkt eine klare und eindeutige Antwort. Es heißt: »Γνώσεσθε την αλήθειαν, και η αλήθεια ελευθερώσει υμάς«. Wir sehen also, daß zunächst, wenn auch indirekt, im ersten Satz das Wissen von der Freiheit getrennt wird und zwischen ihnen die Wahrheit eingeschoben wird. Im zweiten Satz fehlt der Hinweis auf das Wissen vollständig, während nur die zwei Wörter »Wahrheit« und »Freiheit« wiederholt werden. Nur diese beiden Wörter werden in Beziehung, in Æusammenhang gebracht. Es heißt: »Die Wahrheit wird euch frei machen«, und nicht irgendein anderes Wissen.

Es ist also die Wahrheit, die uns frei macht, nicht die »Vielwisserei«. Eine direkte Verbindung zwischen dem Wissen als Inhalt, als Hauptsache, als Objekt und der Freiheit ist nicht vorhanden. Im Gegensatz dazu besteht eine unmittelbare Beziehung zwischen der Wahrheit und der Freiheit.


b) Das Wissen als Streben und Funktion

Wenn nun das Wissen als Inhalt nicht in einer unmittelbaren absoluten Beziehung zur Freiheit zu sehen ist, so hat es doch als Streben, als Suche, als bewegende Kraft (Energie), als Lernprozeß, als Tätigkeit eine direkte, ganz unmittelbare Beziehung dazu. Wenn wir mit Aufmerksamkeit das obengenannte Zitat untersuchen, insbesondere das Verb »γνώσεσθε«, so sehen wir in der Tat, daß es sich dabei nicht um etwas Statisches, ein Objekt, ein Substantivum handelt, sondern um eine bewegende Kraft, ein Stôeben, eine Funktion. Es ist ein Streben, eine Funktion des Menschen mit dem Ziel, die Wahrheit der Wesen, Subjekte und Objekte, Personen und Dinge zu erfahren. Aber dieses Streben ist nicht immer schmerzlos, es gehört Mühe dazu, z.B. braucht man die Gabe, unterscheiden zu können zwischen dem Wahren und dem Unwahren.

Aber auch das reicht noch nicht. Denn, wie es scheint, ist das »Sich-zu-eigen-Machen« des Wissens etwas noch Tieferes, ein innerer Prozeß der Verarbeitung, ein »Erleben«. Deshalb steht das Verb auch nicht im Aktiv, sondern in der »μέση φωνή« (= Ausdruck der griechischen Grammatik, die eine Form des Verbs zwischen Aktiv und Passiv bezeichnet; vergeichbar mit dem Reflexivum im Deutschen). Es heißt »γνώσεσθε«. Diese, sagen wir, reflexive Form des Verbs deutet darauf hin, daß jemand, um in den Stand des Wissens gesetzt zu werden, auch diesen Weg des Wissens gehen muß, d.h. es zu durchleben, und zwar bewußt und willentlich und nicht unwillentlich (nicht passiv -denn das Verb steht auch nicht im Passiv).

Demgemäß könnte man zu folgendem Schluß gelangen: Das Wissen führt zwar zur Freiheit, aber nur als Streben in Richtung Wahrheit, als treibende Kraft und als Trachten nach der Wahrheit und nicht als Inhalt, als Substanz.


c) Die Vervollkommnung des Wissens und die Erringung der Freiheit

Es stellt sich aber weiterhin die Frage: Genügt dieses Streben, um die Freiheit zu erwerben, genügt also auch unvollkommenes Erkennen und Erleben der Wahrheit, oder ist die Vervollkommnung des Wissens um die Wahrheit nötig? Ist vielleicht die vollkommene Kenntnis der Wahrheit, die ganze Wahrheit unerläßlich? Daß dies so ist, läßt sich aus dem erwähnten Zitat ableiten, denn dort steht: »και γνώσεσθε την αλήθειαν, και η αλήθεια ελευθερώσει υμάς«. Én beiden Sätzen wird der bestimmte Artikel (»την« und »η« = die) verwendet, was eindeutig zeigt, daß die ganze Wahrheit verlangt ist, die vollkommene Wahrheit und nicht ein Teil der Wahrheit. Es heißt nicht: »γνώσεσθε αλήθειαν και αλήθεια ελευθερώσει υμάς«.

Aber zu diesem Schluß führt uns auch das Tempus der verwendeten Verben. Sowohl das erste (»γνώσεσθε«) wie auch das zweite (»ελευθερώσει,«) stehen im Futur. Sie bedeuten und weisen darauf hin, daß »euch die Wahrheit frei machen wird, wenn ihr sie in ihrer Gesamtheit kennt«. Wenn das nicht erreicht wird, wenn wir die Vervollkommnung und Ergänzung unseres Wissens um die Wahrheit nicht erreichen, können wir auch nicht frei werden, können wir die Freiheit in ihrer Gänze nicht erlangen. Wer kennt aber auf dieser Welt schon die ganze Wahrheit? Damit verbindet sich auch die Frage: Was ist diese Wahrheit?

Nach diesen Fragen könnte jemand schwermütig bemerken, daß die völlige Freiheit (auf dieser Welt) unmöglich und unerreichbar ist. Im Prinzip konnte man diese pessimistische Bemerkung unterstützen, wenn man nicht auf diese Weise in Gefahr geriete anzunehmen, daß das Versprechen des Herrn »και γνώσεσθε την αλήθειαν και η αλήθεια ελευθερώσει υμάς« in diesem Leben keine Verwirklichung erfahren kann. Wenn man sich auf die menschlichen Gegebenheiten besinnt und auf die menschlichen Kräfte (auf menschliches Vermögen) stützt, könnte man diesen negativen Standpunkt tatsächlich teilen.

Glücklicherweise liegen die Dinge aber nicht so: Zwar ist das völlige Wissen um eine »αν-υπόστατον«, um eine unpersönliche Wahrheit auf dieser Welt unerreichbar, aber die »εν-υπόστατος«, die persönliche Offenbarung und Erkenntnis der Wahrheit ist erreichbar und möglich. Die Schwierigkeit liegt nur darin, daß wir akzeptieren sollen, daß dies nur »in Christus«, dem fleisch- und menschgewordenen Wort Gottes zu verwirklichen ist. Jedenfalls eröffnet uns der von Gott erleuchtete Evangelist Johannes: »Η χάρις και η αλήθεια διά Ιησού Χριστού εγένετο« (Joh 1,17). Außerdem verkündet Jesus Christus selbst: »Εγώ ειμί η οδός και η αλήθεια καί ή ζωή« (Joh 14,6).

Aus diesem Grund kann auch die Freiheit nur in Christus erlangt werden, wie uns auch das Wort Gottes durch Johannes versichert: »Εάν ουν ο υιός υμάς ελευθερώση, όντως ελεύθεροι έσεσθε« (Joh 8,36). Dasselbe bestätigt uns mit seiner persönlichen Erfahrung ( 1 Kor 9,1 ) und seinem Zeugnis der Apostel Paulus, indem er sagt: »Τη ελευθερία ημάς Χριστός ηλευθέρωσεν« (Gal 5,1). Wie nun die persönliche Aneignung der Wahrheit und der tatsächlichen Freiheit in Christus zu verwirklichen ist, ist ein anderes Ô'hema, das Kirche und Theologie oft analysiert haben.


Nachwort

Der Weg zur Freiheit geht also über die Wahrheit und nicht über das Wissen, über das einfache oder vielfache oder vielgestaltige Wissen. Und dieser Weg ist wiederum der menschgewordene Gott. Sagt er nicht: »Ich bin der Weg ... « (Joh 14,6)? Der Weg der Freiheit führt also über den menschgewordenen Gott, über das Wort Gottes, über Jesus Christus.

Und dies hat offenbar folgende Konsequenz: Der Weg zur Freiheit kann zwar auch über die anderen Wissenschaften führen, sofern sie für die Wahrheit arbeiten, aber auf jeden Fall führt er auch über die Theologie. Denn unvollkommenes Wissen der Wahrheit genügt nicht für die vollkommene Freiheit. Die ganze Wahrheit ist nötig.

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