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Elias V. Oiconomou

Bibel und Bibelwissenschaft in der orthodoxen Kirche

 

 

 C DIE BIBEL IN DER PRAXIS

 

Die griechisch-orthodoxe Kirche ist die einzige Kirche der Welt, die von Anfang an bis heute offiziell den griechischen Originaltext des Neuen Testaments verwendet. Dabei hat sie keine Ausgabe und keine Handschriftengruppe als besonders inspiriert angesehen. Jedoch gilt heute der vom ökumenischen Patriarchat von Konstantinopel herausgegebene Text als verbindlich. Der Text des Alten Testaments ist die Septuaginta.

 

Ι. Übersetzungen

Bis zum Ende des vorigen Jahrhunderts stellte die Übersetzung der Bibel kein eigentliches Problem dar. War bis ins Mittelalter hinein eine solche nicht nötig, weil der griechische Bibeltext noch allgemein verstanden wurde, so war sie in der Zeit der Moslemherrschaft nicht möglich. Erst nachdem die orthodoxe Kirche im 18. und 19. Jh. westlicher, vor allem protestantischer Missionierung ausgesetzt war, die mit volkssprachigen Übersetzungen arbeitete, besann sich die griechische Kirche darauf eine eigene Übersetzung zu erstellen. Sie wurde ermöglicht durch die British Bible Society, die in Zusammenarbeit mit griechischen Autoren 1852 eine erste neugriechische Übersetzung der ganzen Bibel vorlegte.l Gerade sie allerdings rief heftige Meinungsverschiedenheiten hervor. Die einen lehnten -in unangenehmer Erinnerung an die Volksbibeln der missionierenden Protestanten und aus Furcht vor negativen Folgen für die Gläubigen- eine Übersetzung, die allen zugänglich wäre, ganz ab: Wer das Urgriechisch nicht verstehe, brauche die Bibel überhaupt nicht zu lesen, denn ihre dogmatischen Aussagen blieben dem einfachen Volk, das an die Heilige Schrift ohne Vorkenntnisse herangehe, auch in der Übersetzung unverständlich.2 Die anderen setzten sich leidenschaftlich für Übersetzungen in eine verständliche Sprache und für den privaten Gebrauch der Bibel ein.

Erschwerend kam hinzu, daß das ökumenische Patriarchat zwar prinzipiell Übersetzungen verbot, in Einzelfällen jedoch begünstigte. Außerdem kamen unautorisierte Übersetzungen in Umlauf: eine von A. Pallis, die in der Zeitung “Akropolis” erschien, und eine andere, die auf Initiative der Königin Olga verbreitet wurde. Schließlich verdichteten sich die Spannungen zu Unruhen unter den Athener Theologiestudenten, so daß es am 8. November 1901 zwischen den sogenannten “Evangelischen” und der Armee zu einem blutigen Zusammenstoß kam, der acht Tote und siebzig Verletzte forderte. Noch am selben Tag legte der Metropolit von Athen sein Amt nieder, zwei Tage später trat die Regierung zurück. Endgültige Ruhe aber trat erst 1911 durch das neue Grundgesetz ein, das in Artikel 2 Paragr.3 ausdrücklich jede Bibelübersetzung ohne Erlaubnis der Kirchen von Konstantinopel und Griechenland verbot: “Der Text der Heiligen Schriften bleibt unantastbar. Ihre Wiedergabe in einer anderen Sprache ohne Erlaubnis der autokephalen Kirche von Griechenland und der Großen Kirche Christi in Konstantinopel ist absolut verboten.”3 Dieser Artikel stellt jedoch für die Bibelarbeit kein Hindernis dar. Wissenschaftliche Übersetzungen und Kommentare sind ohnehin ausgeschlossen. Ebenso sind zweisprachige Ausgaben, in denen der neugriechische neben dem altgriechischen Text steht, davon nicht betroffen, weil die Übersetzung dann als eine Art Kommentar gilt. Auch auf die Septuaginta, die heute vor allem Gegenstand der wissenschaftlichen Forschung ist,4 trifft der Artikel nicht zu. Lediglich für die volkstümlichen Ausgaben hat der Grundgesetzartikel Kontrollfunktion. Sie betrifft zum Beispiel paraphrasierte Texte religiöser Organisationen (Zoe, Soter) und solche privater Verlage, nicht aber die von der Kirche durch die Apostolike Diakonia und die von der griechischen Zweigstelle der Bible Society erstellten Übersetzungen.

 

2. Praktucher Gebrauch

Am ausgeprägtesten ist die Verwendung der Bibel im Gottesdienst. Hier werden von einem eigens dafür bestimmten Vorleser (Anagnostes) regelmäßig und nach einem bestimmten Plan Texte aus dem Altenn und dem Neuen Testament vorgetragen. Die zugrunde liegende Perikopenordnung stammt aus der alten Kirche. Sie ist ganz von der Liturgie her bestimmt. Nicht nur, daß die Lesungen von liturgischen Formeln umrahmt werden (z. B. Merken wir auf! Friede allen! Die Weisheit! Friede dir! Alleluja!), auch die Häufigkeit und Auswahl der Texte ist bedingt von der liturgischen Zeit. Wie stark die Bibel den Gottesdienst prägen kann, zeigt die Fastenzeit; innerhalb der vierzig Tage vor Ostern werden allein aus 16 Büchern des Alten Testaments 141 Perikopen vorgelesen. Nimmt man die neutestamentlichen hinzu, so steigt die Zahl auf 200. Aber sie dienen nicht nur der Erbauung und Belehrung, vielmehr sind sie das bevorzugte Mittel, dem Gottesdienst Ereignischarakter zu verleihen.5 Außerdem gibt es keinen Gottesdienst und keine Zeremonie, in der nicht Psalmen gebetet und gesungen werden. Ιn den Hymnen, die das Wort Gottes oft spielerisch wiederholen und in tausendfacher Form Gedanken und Szenen aus der Heiligen Schrift widerspiegeln, wird die Bibel der Erbauung und Meditation anheimgegeben. Älhnliches geschieht durch die unerschöpfliche Ikonenmalerei. Das beste Mittel jedoch, die Lehre der Bibel, ihr Verständnis und ihre Tiefe den Gläubigen zu erschließen, ist auch heute noch die Predigt. Ob nun ein Bibeltext analysiert oder lehrhaft gedeutet wird, immer weiß sich der orthodoxe Prediger in der großen Tradition der exegetischen Homilien der Kirchenväter.

Auch im Religionsunterricht spielt die Bibel eine große Rolle. Religion ist auch an den öffentlichen Staatsschulen ordentliches Lehrfach, das nach einem kultusministeriellen Lehrplan unterrichtet wird. Die letzten Lehrpläne von 1968/69 sehen für die Grundschule Geschichten aus dem Alten und Neuen Testament und für die höheren Schulen die Exegese von ausgewählten Perikopen anhand der altgriechischen Texte vor. Inzwischen werden zusätzlich Sonntagsschulen und für Erwachsene Bibelkreise angeboten.

Die Privatlektüre der Bibel hat die Kirche im Prinzip nie verboten. Sie hielt sich an Justin6, Origenes7, Johannes Chrysostomos8 und andere Kirchenväter, die das Lesen der Heiligen Schriften ausdrücklich empfahlen. Eine Ausnahme machte lediglich Dositheos, Patriarch von Jerusalem, in seiner Confessio auf der Lokalsynode von Jerusalem (1672), die auf die Frage: “Soll die göttliche Schrift allgemein von allen Christen gelesen werden?” negativ antwortete und die Lesung der Bibel nur denen erlaubte, “die nach erforderlichem Studium in die Tiefe ihres Geistes eingedrungen sind”, nicht aber “dem Ungeübten und denen, die nur nach dem Buchstaben oder auf irgendeine andere fremde Weise der Frömmigkeit den Inhalt der Schrift mit Gleichgültigkeit auffassen”, wobei die Synode sich auf die gemachten schädlichen Erfahrungen beruft.9 Mit diesen dürfte mit Sicherheit die zu dieser Zeit intensiv einsetzende protestantische Infiltration gemeint sein. Vellas vermutet außerdem, daß dieser Synodalbeschluß “offensichtlich unter dem Einfluß der entsprechenden Lehre der Römisch-Katholischen Kirche in den Kampfjahren der Gegenreformation gefällt” wurde.10 Obwohl also dem Laien das Lesen der Heiligen Schrift nie prinzipiell verboten war, wurde es bis in die jüngste Zeit hinein nicht oder kaum betrieben. Erst durch den Aufschwung der Bibelwissenschaft und die Initiative religiöser Organisationen (z. B. der 1947 in Thessaloniki gegründeten “Schule Christi”) beginnt die Privatlektüre der Bibel beim Volk Anklang zu finden.

 

Schluß

Die heutige griechisch-orthodoxe Exegese befindet sich noch immer in einer besonderen Lage. Einerseits weiß sie sich der Exegese der Kirchenväter verpflichtet, andererseits kann sie sich den Methoden und Ergebnissen der westeuropäischen (katholischen und protestantischen) Exegese nicht entziehen. Noch sind die Lager gespalten. Die einen lehnen die moderne Exegese ab und imitieren die Kirchenväter, die anderen versuchen, neue Wege zu gehen, ohne dafür Anerkennung zu finden. So fehlt es der orthodoxen Exegese an einem eigenen Konzept. Erst wenn es gelungen ist, moderne Bibelwissenschaft zu treiben, ohne mit der exegetischen Tradition zu brechen, wird die orthodoxe Kirche eine eigene Prägung erhalten, die sie befähigt, anderen Kirchen von ihrem Reichtum mitzuteilen. Bis dahin bedarf es der Zusammenarbeit aller verfügbaren Kräfte.

________________________

 

1. S. o.15.

2. Vgl. Androutsos, Dogmatik 89.

3. Für die Beibehaltung dieses Artikels hat sich auch die Theologische Fakultät Athen eingesetzt; vgl. Alivizatos, Bemerkungen.

4.  S.dazu Vellas, Hauptprobleme; ders., Die Bedeutung der Dubletten; zunächst erschienen Kommentare mit Übersetzungen, dann eine Paraphrase des Pentateuch. Heute gibt es für die Septuagintaforschung in Athen einen eigenen Lehrstuhl.

5 Vgl. dazu E.Theodorou, Artikel Anagnosma, in: REE 2,460-462, hier 460.

6. Contra Graecos 35 (PG 6, 304).

7.  Homilie zur Genesis 12,5 (GCS Origenes VI, 112).

8.  Ιn Lazar. orat. 3,1 (PG 48,991f; Epist. Coloss. cap. 3 in Hom. 9,1 (PG 62, 361).

9.   Karmiris, Dokumente 2, 768.

10. Vellas, Die Heilige Schrift 137.

 


 

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